Selbstführung: Die Kernkompetenz im KI-Zeitalter

Selbstführung im KI-Zeitalter: ein Klassiker in Neuauflage Dez. 2, 2025

Selbstführung: Die Kernkompetenz im KI-Zeitalter

Selbstführung – das klingt nach noch mehr Verantwortung. Etwas schwer, etwas sperrig. Doch es ist in Wahrheit der Schlüssel zu unserer menschlichen Freiheit und Selbstbestimmung. Wir alle tragen die Fähigkeit dazu in uns – doch im KI-Zeitalter muss sie bewusst kultiviert werden, um nicht in einer ganz neuen Art von Stress und Überforderung durch unsere eigene Neugier unterzugehen.

Zum Einstieg eine Anekdote: Neulich sprach ich in einem Kurs zum Thema Resilienz bei der Arbeit voller Elan und Begeisterung über Selbstführung und meine zehn Strategien dazu (siehe unten). Doch irgendwann merkte ich, dass die Stimmung immer schwerer wurde. Ich fragte nach. Schließlich sagte ein Teilnehmer: „Puh! Ich ersaufe eh schon in Aufgaben und jetzt soll ich mich auch noch selbst führen!?“

Genau deshalb schreibe ich diesen Beitrag: Denn Selbstführung ist keineswegs ein weiteres „To do“ – sondern eine Haltung oder ein Lebensprinzip! Richtig verstanden, schenkt sie vielmehr Klarheit, Leichtigkeit und Sinn – und zwar gerade in einer Welt, die dank KI und diverser Herausforderungen nicht nur VUCA (volatile, uncertain, complex, ambiguous) sondern auch BANI (brittle, anxious, non-linear, incomprehensible) ist!

Selbstführung im KI-Zeitalter - to prompt or to be prompted
Selbstführung im KI-Zeitalter – to prompt or to be prompted!

Eine neue Art von Stress: KI als Erschöpfungstreiber

Man muss nur mal einige Tage viel mit KI arbeiten, um zu beobachten, wie es sich auswirkt, dass KI am Ende jeder Ergebnispräsentation neue Fragen und Fortsetzungsangebote aufwirft: Anfangs fühlt es sich großartig. Doch irgendwann wird man immer unruhiger – und stellt irgendwann fest, dass man in einem „Kaninchenbau“ gelandet ist, dessen Zweck es ist, die eigene Aufmerksamkeit gefesselt zu halten.

Das menschliche Gehirn spricht auf KI stark an, weil es Stimulation und Neugier liebt. Doch das gleiche Muster führt uns zugleich auch schnell in die totale Überlastung!

Diese Art von Stress ist eine neue Erfahrung für das menschliche Gehirn. Es gibt bereits Studien die zeigen, dass die häufige Nutzung von KI das kritische Denken schwächt. Zugleich ist KI aus der Arbeitswelt in den meisten Bereichen schon jetzt nicht mehr wegzudenken. Wir müssen und dürfen lernen, damit umzugehen.

Uralte philosophische Weisheit als „Future Skill“

Wichtig ist auch, dass wir den Mehrwert unserer menschlichen Arbeit ebenso verstehen wie die Chancen, die in KI liegen. Sonst verlieren wir den Kontakt zu uns selbst sowie das Empfinden von Sinn und Wirksamkeit. Und: Wenn wir nicht selbstbewusst unser Leben und unseren Beruf gestalten und „führen“, werden wir geführt und werden immer fremdbestimmter.

Das ist zugegeben kein neues Phänomen – in Corporate-Kreisen ist die Metapher mit den fremden „Affen“ auf eigenen Schultern seit Jahrzehnten geläufig. Und auch dem im Artikelbild gezeigten / zitierten Aristoteles ging es letztlich um Selbstführung: Nichts anderes ist der philosophische Ur-Auftrag, der Mensch solle „sich selbst erkennen und er selbst werden“.

Heute blickt er symbolisch (in Form einer Statue in Thessaloniki) auf eine Welt, die viel schneller, komplexer und widersprüchlicher geworden ist als die seine. Der Gedanke der Selbsterkenntnis und Selbstführung war für ihn ein Ideal, ein Leitbild. In der modernen Arbeitswelt ist es noch mehr: eine „Future Skill“ und meines Erachtens auch eine Überlebenskompetenz.

Denn es reicht nicht mehr zu „wissen“: Wir müssen lernen zu spüren, was stimmig ist. Es reicht nicht mehr, Vorgaben und Regeln zu folgen: Wir müssen und dürfen den eigenen Weg selbst gestalten. Das gehört zur Freiheit des Menschen – und wir müssen lernen, sie zu leben. Denn das entscheidet darüber, ob wir handlungsfähig bleiben oder im Strudel permanenter Anforderungen und „Prompts“ von außen untergehen.

Das Ende des Informationszeitalters – Beginn der „Sinn-Epoche“?

Die Rolle, die KI aktuell hat, entspricht wahrscheinlich der, die Wikipedia bis dato hatte. Es ist eine wichtige Referenz und ein guter Startpunkt für sehr viele Anfragen.

Doch jeder, der wirklich ein ernsthaftes Interesse hat, einem Sachverhalt auf den Grund zu gehen oder etwas zu verstehen, muss zwangsläufig weit darüber hinaus recherchieren – und Informationen und Quellen bewerten und validieren können.

Dazu wiederum braucht es kritisches Denken – aber rein über rationales Denken hinaus. Gefragt ist auch emotionale und intuitive Intelligenz! Besonders wenn es um große und komplexe Fragen geht.

Kleine vs. große Entscheidungen: Von Risiko- und Kontextbewusstsein

In vielen Situationen suchen Menschen eine schnelle und einfache Antwort. Hier liefert KI schnelle und gute Antworten. Aber wenn es um komplexe Fragen geht, die Fingerspitzengefühl und vor allem menschliche Erfahrung und Reife benötigen, liefert KI zwar auch Antworten – aber ob die Fragen damit lösbar sind, ist eher zu bezweifeln.

KI liefert auch klare Antworten auf Fragen, wie man seine Kinder am besten erzieht, ob man den Job wechselt oder auswandert oder wie man ein Online-Business gründet. Doch das sind große Fragestellungen – und das Risiko von falschen Entscheidungen ist sehr groß und hat einen hohen Preis!

Daher müssen wir uns mehr Zeit nehmen und mehr Mühe aufwenden, um Lösungswege dafür zu finden. Der Mensch ist treffsicherer als KI beim Bewerten der Risiken und Chancen verschiedener Optionen – und es ist sehr zu hoffen, dass das Bewusstsein dafür unserer Spezies erhalten bleibt! Selberdenken ist mühsam – aber es lohnt sich.

Der menschliche Suchimpuls kommt von innen

Ob mit oder ohne KI, online oder offline: Der menschliche Suchimpuls entspringt immer einem inneren Anliegen, das bestimmte Gründe hat. Wir sind zwar offene und neugierige Wesen, aber selbst als hochsensible Scanner gehen wir nicht komplett wahllos durch die Welt und saugen alles an Informationen auf. Wir sind angetrieben und motiviert von einer inneren Instanz, die immer nach etwas Bestimmtem sucht – auch wenn es Billionen Formen hat und für jeden etwas anderes ist:

Selbstführung und die Suche nach Sinn

In unserer ewigen Suche zeigt sich unser Selbstbestimmungsdrang. Er ist eines der treibenden Motive des Menschen. Denn wir Menschen sind nicht Informationssammelnde, sondern Sinnsuchende.

Doch es bleibt wichtig – im KI-Zeitalter wichtiger denn je! – , schon frühzeitig die Fähigkeit zum kritischen Denken zu vermitteln und wie man Informationen recherchiert und bewertet. „Kritisches Denken“ entspricht dabei nicht 1:1 dem Verständnis der Aufklärung. Es muss ergänzt werden um die Erkenntnis, dass der Mensch eben nicht nur rational ist, sondern viele andere Ebenen und Schichten hat, die in Form von Bedürfnissen, Wünschen und auch Erkenntnisebenen in unserer Sein hineinspielen. 

Wir brauchen eine Art somatisch informierte neue Aufklärung, die unsere rationalen, intuitiven und sozialen Fähigkeiten zusammenführt. Diese kann uns helfen, uns in dieser neuen und oft verwirrenden Welt zu orientieren und auch in Unsicherheit klug und für uns stimmig zu navigieren.

Diese Fähigkeit heisst „Selbstführung“ und ist die Kernkompetenz im KI-Zeitalter!

Was ist „Selbstführung“ genau? 4 hilfreiche Blickwinkel

Selbstführung hat – genauso wie der Begriff der Führung – verschiedene Aspekte, die betrachtet werden können: Es geht auch bei Selbstführung um Verantwortung, Überblick, Steuerung und Strategie, Motivation, Kompetenz, emotionale und soziale Intelligenz, Verbindung, Empathie und „Assertiveness“, Fürsorge, Kommunikation und Präsenz.

Für die Praxis finde ich vier Blickwinkel besonders hilfreich, um zu reflektieren, wie stark und klar die eigene Selbstführung bisher ist: Sie spiegeln, dass Selbstführung immer in Beziehung stattfindet – zu uns selbst, zu anderen, zu Aufgaben und zum Leben.

Selbstführungskompetenz ist Beziehungskompetenz
Selbstführungskompetenz ist Beziehungskompetenz!

Self-Leadership und die Führung von inneren und äußeren Teams

Eine besonders spannende Sichtachse ist meiner Erfahrung nach die auf das „innere Team“, sprich, die Beziehung zu uns selbst. Denn hier zeigen sich oft tiefere Ursachen einer chronischen Stress- oder Arbeits-Überlastung oder auch von äußeren Konflikten. Wenn wir mit uns selbst nicht im Reinen sind – also unter internen Spannungen wie Wertekonflikten leiden – hat das eine massive Auswirkung auf unser Wohlbefinden, unsere Wirksamkeit und unsere Beziehungen nach außen.

Leadership als äußere berufliche Rolle beginnt daher notwendigerweise immer mit gutem Self-Leadership. Denn sonst ist das Risiko groß, dass innere Konflikte ins Außen projiziert oder im äußeren Team re-inszeniert werden! Selbstführung als Fähigkeit des Selbstverständnisses und der Selbstbeziehung bekommt dadurch eine weitere hochrelevante Bedeutung im beruflichen Kontext.

10 Prinzipien gesunder Selbstführung im Beruf

Wir haben gesehen, dass Selbstführung kein „To Do“ ist! Es ist eine Art der Beziehung und Interaktion mit sich selbst und der Welt. Wie konkret sieht das nun aber aus? Wie kann es gelebt werden.

Hier einige spielerische Impulse, die zugleich für mich Prinzipien gesunder Selbstführung und „Inner New Work“ sind:

  1. Work hard, play hard – pflege deine Work-Life-Balance 
  2. Unterscheide Trainings-, Wettkampf- und Regenerationsphasen
  3. Übernimm radikale Selbst-Verantwortung und Lebensgestaltung
  4. Lebe Intrapreneurship & denke dabei an den „Circle of Influence“
  5. Setze Fokus statt „busy“ zu sein – und nutze Rhythmus statt Disziplin
  6. Kultiviere gute Selbst-Strukturierung – mit Flexibilität und Lern-Mindset 
  7. Kenne deine Bedürfnisse, Ziele, Stärken und Werte
  8. Vertrauen, Teamwork und vernetztes Denken 
  9. Verstehe, was KI kann und was dich als Mensch ausmacht: Bei der Arbeit und im Leben!
  10. Do what you love & Love what you do

Der eine Impuls, der meiner Erfahrung nach der schnellste Weg in die Haltung von Selbstführung oder „Inner Leadership“ ist, lautet: Be the CEO of your own life!

Inner Leadership statt "Matrix" - eine hochmoderne Kernkompetenz!
Inner Leadership statt Selbstverlust in der „Matrix“ – eine hochmoderne Kernkompetenz!

Nachforschung: Wer oder was hat mich „gepromptet“, diesen Artikel zu schreiben?

Das Thema Selbstführung brennt mir schon lange unter den Nägeln. Es ist eines der zentralen Themen meiner Arbeit als Coach und Mentorin mit Menschen, die viel Verantwortung tragen und mit Stress, Überforderung und Frust kämpfen. Für mein Empfinden ist diese Fähigkeit zu „Inner Leadership“ absolut zentral, um sich aus Selbstüberforderung, Fokusverlust und Fremdbestimmung in einer extrem eng getakteten und überreizten Welt zu befreien.

Denn hinter einem Gefühl von „zu viel“, von Überforderung und Hilflosigkeit, das so viele Menschen derzeit erleben, steckt meist ein Erleben von Selbstverlust – genauer: Vom Verlust des Gefühls für sich selbst.

Selbstführung ist kein Selbstmanagement – sondern wieder in Kontakt zu kommen mit der inneren Führung, dem inneren Kompass, der ohnehin schon da ist!

Auch philosophisch und psychologisch ist die Frage, was uns innerlich da eigentlich führt, wenn Sinnfragen auftauchen, hochinteressant. Sie führt uns nämlich zurück zu uns selbst. Wir verlieren uns nie wirklich ganz – wir verlieren aber oft unsere innere Mitte und lassen uns von außen (ver)führen und lenken.

Doch etwas Spannendes passiert, wenn wir eine Haltung von Neugier und Forschergeist gegenüber der inneren Instanz entwickeln, die uns motiviert, uns für bestimmte Themen oder Dinge einzusetzen. (Und etwa auch des Nachts, unter Schlafentzug, neue Gedanken für Blogartikel schickt … ;-))

Zum Abschluss möchte ich daher einige Reflexionsfragen teilen, die zwar keine Antworten geben, aber auf einer tiefen Ebene wieder eben jenen Kontakt zu sich selbst herstellen können:

  • Woher kommen diese inneren Impulse? Was treibt mich da innerlich an?
  • Warum ist mir das Thema wichtig? Auf welche Werte in meinem Leben weist mich das hin?
  • Wie fühlt es sich an, dem zu folgen?
  • Was hilft mir im Alltag, mich selbst und diese inneren Impulse wieder klarer zu spüren?

ByCornelia Lichtner

Über die Autorin: Cornelia Lichtner ist Expertin für Resilienz, Achtsamkeit und Intuition. Als Mentorin, Coach und Heilpraktikerin für Psychotherapie begleitet sie engagierte und werteorientierte Leader:innen dabei, achtsam und wirksam zu leben und zu arbeiten – ohne auszubrennen. Sie ist seit 15 Jahren zertifizierte Achtsamkeits-Lehrerin (MBSR), hat 20 Jahre Erfahrung im Corporate-Umfeld, einen akademischen Background in Philosophie und Literatur und ist künstlerisch als Singer-Songwriterin aktiv. Auf ihrem Blog teilt sie Impulse für gesunde Selbstführung, kreative und lösungsorientierte Perspektiven und Zukunftskompetenz in beruflichen Veränderungsprozessen. Mehr über Cornelia

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